„Scheiss DFB“ versus „Unsere Mannschaft kann doch nichts dafür“ – Der Versuch einer Bewertung des Fanprotests in Sinsheim

„Scheiss DFB“ versus „Unsere Mannschaft kann doch nichts dafür“ – Der Versuch einer Bewertung
des Fanprotests in Sinsheim

Gleich vorneweg: Die weitreichenden Diskussionen in den einschlägig bekannten Fanforen unserer Borussia sowie in den sozialen Netzwerken, die teilweise in gegenseitigen Beschimpfungen ausarten, sind ein Ausdruck dafür, dass am vergangene Sonntag, beim Spiel unserer Borussia gegen die Projektgesellschaft TSG Hoffenheim etwas weitreichendes geschehen sein muss. Eine Bewertung nach Richtig oder Falsch, die alle Argumente abwägt und zum richtigen Ergebnis kommt würde sich der Autor dieses Artikels nicht anmaßen.
Gleichwohl schreit die Meinungsdifferenz innerhalb der Fanlager, die in wohl gleicher Form in mir selbst tobt danach, eine schulbuchmäßigen These-Antithese-Erörterung zu schreiben, die die Argumente für die jeweilige Seite zusammenfasst. Und nochmals: Da ich selbst in der Frage, ob ein 90-minütiger Fanprotest als Reaktion auf die Beschlüsse der DFL zur Sicherheit im Stadion richtig oder falsch war gespalten bin, soll dieser Artikel weder die eine, noch die andere Seite stärken.

Vielmehr kann ich ein Ergebnis vornewegnehmen: Die Angst, auf Grund der unterschiedlichen

Auffassungen könne es zu einer Spaltung der Fanszene kommen, sehe ich in keiner Weise. Denn einerseits ist die Fanszene von Borussia Dortmund seit jeher eine heterogene Masse, ein Mischmasch aus Ultras und Normalos, sitzenden Fußballkonsumenten und lautstarken Sängern, Selbstdarstellern auf den Rängen und Selbstdarstellern in den Logen, Internet-Hooligans und Allesfahrern. Andererseits ist das was sich gerade in den Foren und in den Diskussionen auf den Rängen abspielt nichts anderes als ein fanpolitscher Prozess, eine Debatte unter Fans in der Frage, welche Rolle der Fan zukünftig im Stadion zu spielen hat, ob Sicherheit vor Freiheit geht und ob in all
diesen Fragen der Fan als wesentlicher Bestandteil der deutschen Fußballkultur ein im
demokratischen Rechtsstaat übliches Mitspracherecht hat. Kurzum geht es um die Frage: Keine Stimmung ohne Stimme? Und wie weit gehen wir als Fans für unsere Rechte.
12:12 Minuten zu schweigen ist eine Sache, die jeder gern unterstützt. Keine Frage. Die ernüchternde Stille, die an Kreisligaspitzenspiele mit pöbelnden Rentnern erinnert, werden wach und die Gewissheit, dass nach wenigen Minuten die gewohnte Stimmung wieder zurückkehrt, lassen so ziemlich jeden Solidarität für die gute Sache an den Tag legen.
Anders ist dies, wenn sich ein ganzer Fanblock oder ein ganzes Stadion dazu entscheiden, über 90 Minuten still dem Treiben auf dem Platz beizuwohnen und selbst nach Torchancen nur leicht zu klatschen. So geschehen am vergangenen Sonntag bei der Partie des BVB in Hoffenheim. Die Debatte unter den Fans lässt sich am besten in eines Szene zusammenfassen, die sich Mitte der zweiten Hälfte abspielte. Beim Stand von 1:1, wo unsere Mannschaft die Unterstützung von den Rängen bitter nötig gehabt hätte, sang eine Gruppierung ihre Meinung zu den Protesten:
„Unsere Mannschaft kann doch nichts dafür“ hörte man schüchtern aus einer oberen Ecke. Von den Stehplätzen kam die entschlossene und zugegebenermaßen wesentlich lautere Antwort „Scheiss DFB“, als wollte man sagen: Wir würden ja gerne supporten, aber wir tun das hier aus Überzeugung und für eine gute Sache.
Formatiert: Block
Ich war mir zu dieser Zeit, wie auch grübelnd während der Heimfahrt unsicher, wem ich jetzt recht geben soll: Hätte der BVB das Spiel verloren, weil in den letzten Minuten das pushen der Ränge, dass Spiele wie das 4:4 gegen Stuttgart in der Vorsaison erst ermöglichte, gefehlt hat, hätte ich mich in Grund und Boden geschämt. Die Mannschaft im Stich lassen, wo ich doch sonst bei jedem Spiel mit meinen Gesängen beteuere, dass Borussia mir mit das wichtigste in meinem Leben ist? Das ist nicht meine Überzeugung, dafür sind mir die drei Punkte zu wichtig. Andererseits wäre es falsch, nach den Beschlüssen vom 12.12. zu sagen: Schade, es hat nicht geklappt, also zurück zur Tagesordnung. Forza BVB. Hungerstreik exakt so lange bis der Magen knurrt? Das kann nicht die Lösung sein, wenn man zu einer Sache steht und die eigene Überzeugung wirklich ernst nimmt. Demnach kann ich auch die vielen Fans verstehen, die den Schaden, der der Mannschaft und somit unserer geliebten Borussia entstanden wäre in Kauf genommen hätten, hätte man durch fehlenden Support Punkte liegen lassen. Denn letztendlich hat auch die Führung von Borussia Dortmund trotz dem Wissen um die Relevanz der eigenen Fanszene, am 12.12. einem zumindest umstrittenen Sicherheitskonzept zugestimmt. Ohne Diskussion. Ohne die Meinung der Fans in die Entscheidung einfließen zu lassen. Solange man also überzeugt ist, dass das was am 12.12. beschlossen wurde zu einer massiven Veränderung des Stadionerlebnisses in Deutschland führt, muss man konsequenterweise auch einen Vorgeschmack auf das liefern, was passieren könnte. Soweit die Theorie. Offen bleiben jedoch einige Fragen, die hier nicht abschließend geklärt werden können. Ist das Konzept der DFL wirklich so schlimm? Haben diejenigen, die nun an vorderster Front schweigen das Konzept überhaupt gelesen? Gibt es womöglich wenige Meinungsführer, die sich selbst über das
Thema Fanrechte profilieren wollen? Wie hätte man sich entschieden, wenn es nach 85 Minuten 1:1 gestanden hätte? Was wäre wichtiger gewesen? Die Diskussion über das Für und Wider eines solchen Protestes wird weitergehen, garantiert. Und dies wird am Ende des Tages der Fankultur in Deutschland nicht schaden, sondern ein gesunder Prozess der Positionierung innerhalb der Fanszene, welcher diese nachhaltig verändern wird. Nicht
nur zum Unguten. Voraussetzung ist wie bei allen politischen Fragen jedoch eines: Fans, informiert Euch, lest nach für oder gegen was ihr durch euer Verhalten im Stadion protestiert. Wer von sich behaupten kann genug Informationen zu haben um selbst zu bewerten was richtig und falsch ist, dem sei sein Recht auf freie Meinungsäußerung oder eben Nichtäußerung gegeben, denn auch und vor allem das gehört zu einem demokratischen Prozess dazu.

Valentin Holzer